SPD-Hirschberg
„Mein Europa steht für Leben“ – Einsatz Mittelmeer – Europäische Flüchtlingspolitik auf dem Prüfstand – Diskussionsveranstaltung am Montag 22.6.15
Nach Begrüßung durch unseren Vorsitzenden Rüdiger Kanzler sprach Dr. Lars Castellucci über Flüchtlingspolitik in Europa. Dabei stellte er vorab klar, dass Wanderungen seit Jahrhunderten immer stattfinden. Er zeigte uns die Flüchtlingsrouten nach Europa. Wir in Europa können nur dafür sorgen, dass wir sie einigermaßen human gestalten. Die meisten der Menschen, die fliehen sind minderjährig!
Auf europäischer Ebene steht momentan in erster Linie die Seenotrettung im Vordergrund. Er war gerade in Catania/Italien und berichtete, dass die Stadt mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert ist. Er schilderte die schwierige Situation der Seenotrettung auf dem Mittelmeer, und die Forderung nach Zerstörung der Schleuserboote. „Wer will feststellen, ob es sich um ein Schleuserboot oder ein Fischerboot handelt“? fragte er in die Runde anhand eines Satellitenbildes in einem lybischen Hafen. Wichtiger sei es, die Fluchtursachen zu bekämpfen, die Gründe für Flucht sind aber vielfältig. Er stellte auch hervor, dass die Nachbarländer Europas mehr Flüchtlinge aufnehmen und bemängelte die schlechte Solidarität der Euroländer, wenn es um die Verteilung der Flüchtlinge geht. Für 2015 werden in Deutschland ca. 450.000 Asylanträge erwartet, das sind etwa doppelt so viel wie 2014. Es wurden bereits 93.000 Entscheidungen getroffen, von denen 35 % positiv entschieden wurden. Nach seinem Vortrag mit ausreichenden INPUT folgte eine persönliche Fluchtgeschichte von Farhan Hassan. Der Somalier schilderte seine Lebensgeschichte. Er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und hat erst mit 18 Jahren seine Mutter wieder gesehen. Er konnte dennoch zwei Uniabschlüsse erwerben und arbeitete u.a. für UNICEF an humanitären Projekten. 2009 begann die islamistische Al-Shabaab mit der Invasion Somalias und die Amerikaner wurden ausgesiedelt. Er musste bleiben und zusehen, wie die Miliz in seine Heimatstadt vorstieß. Dabei fanden sie bei Ihm eine Bibel. Er wurde als Christ für vogelfrei erklärt, jeder Moslem hatte das Recht ihn zu töten. Bei einem Bombenattentat verlor er 3 Finger seiner Hand, weiterhin wurde seine Frau entführt und die Kinder verschleppt. Seit seiner Flucht hat er Sie nie wieder gesehen. Seine Ehe wurde annulliert!! Dies Schicksal von Farhan zeigt uns wie priviligiert wir in Deutschland sind, sagte anschließend Bürgermeister Manuel Just, der daraufhin die Diskussionsrunde übernahm.
BM Manuel Just stellte die Podiumsteilnehmer Dr. Lars Castellucci, Ursula Hill, Uli Sckerl und Pfarrer Albrecht Lohrbächer kurz vor und begann mit der Fragerunde. Dabei wurde auf die unterschiedlichen Probleme und Fluchtursachen in den in den einzelnen Ländern eingegangen. Die Menschen fliehen wegen Armut, Diktatur und kriegerischen Auseinandersetzungen. Kein Mensch hat eine Idee wie man die zerfallenden Länder im Nahen Osten und teilweisen auch in Afrika stabilisieren könne. In Libyen warten 1 Million Menschen auf Rettung. Das Dublin 3 Gesetz muss umgehend abgeschafft werden. Auch Deutschland hat sich an der Verschärfung der Grenzkontrollen gegenüber den Flüchtlingen beteiligt. (Ende Rettungsprogramm Mare Nostrum). Die Asylbearbeitung in Deutschland gestaltet sich auch schwierig aufgrund von Personalmangel beim Bundesamt für Migration in Nürnberg . Jetzt erst soll der Personalstamm aufgestockt werden, doch bis geeignete Bewerber eingestellt und ausgebildet werden, wird es Monate dauern, meinte Uli Sckerl. Dadurch verlängern sich auch die Bearbeitungszeiten für Asylanträge in Deutschland. Über 2 Jahre sind mittlerweile die Regel, wie auch Ursula Hill aus Schwetzingen zu berichten weiß. Uli Sckerl befürwortet die Verfahren für syrische und irakische Flüchtlinge zu beschleunigen, damit diese umgehend integriert werden
können. Dagegen sollten Flüchtlinge aus dem Kosovo verstärkt dort über die schlechten Asylaussichten in Deutschland informiert werden. Hier ist eine bessere Zusammenarbeit auf höchster politischer Ebene notwendig. Die wichtigste Aufgabe in der Asylproblematik sei es, den Menschen zu begegnen und patenschaftliche Strukturen zu schaffen, sagt Pfarrer Albrecht Lohrbächer. Er hat fast 30 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet. Viele Pensionäre wollen sich einbringen und suchen eine sinnvolle Beschäftigung. Aber auch jüngere Menschen können sich u.a. als Hausaufgabenhelfer und Deutschlehrer betätigen und so positive Erfahrungen mit Flüchtlingen sammeln. So hat sich auch Ursula Hill engagiert. Sie betreut Flüchtlinge in Schwetzingen und ist hautnah bei Ihnen. Sie berichtet über das Häufen von Selbstmordversuchen, wenn Flüchtlinge zurückgeschickt werden sollen. Sie wissen, dass Ihnen dann Folter und Misshandlungen drohen. Bei der anschließenden öffentlichen Diskussion wurde der Bundestagsabgeordnete Dr. Lars Castellucci stark auf die deutsche Rüstungspolitik angesprochen. Deutschland beteiligt sich nicht minder stark bei der Lieferung von Waffen in die Krisengebiete und fördert somit die Flüchtlingsthematik. Weiterhin muss sich die wirtschaftliche Lage der Entwicklungsländer „Vor Ort“ verbessert werden. Es darf nicht sein, dass wir Produkte zu Spottpreisen in diese Länder exportieren und dort die ortsansässige Industrie kaputt machen, berichtet eine Zuhörerin über Schneider und Farmer. Am Ende der zweieinhalbstündigen Veranstaltung sind sich alle Beteiligten darüber bewusst, dass es sich bei der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik um ein hochkomplexes Thema handelt. Die wichtigste Erkenntnis ist aber Begegnung mit den Flüchtlingen, wie mit Farhan Hassan aus Somalia. Das Schlusswort übernahm unser Landtagsabgeordneter Gerhard Kleinböck. In wenigen Worten unterstrich er nochmals die wichtigsten Punkte des Abends.
